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Channel: Seite 85 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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30 Jahre Mauerfall – Zeitzeugen 2 – Als Kind im Konsum

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In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre Mauerfall. Wir nutzen die Gelegenheit und lassen Zeitzeugen zu Wort kommen, die sich an die Zeit vor dem Mauerfall und an die Zeit unmittelbar danach erinnern. In unserer zweiten Folge kommt Holger Kohl zu Wort. Seine Familie war damals die erste, die sich in Finkenkrug niedergelassen hat.

Holger Kohl: „Dort, wo lange Zeit die Videoworld-Filiale in Falkensee zu finden war, also gleich gegenüber vom Bayerischen Hof, da gab es früher zu DDR-Zeiten einen Konsum. Meine Mutter Renate war da die Verkaufsstellenleiterin. Im Konsum gab es eine Angestellte, die hieß Elfriede. Sie war in Falkensee so bekannt, dass alle immer gesagt haben ‚Komm, lass uns mal zu Elfriede gehen‘. Niemand hat gesagt ‚Ich gehe in den Konsum‘. Der Konsum beschränkte sich auf Haushalts- und Wirtschaftswaren. Da gab es also keine Lebensmittel. Dafür aber Teller und Gläser, die ich als Kind nachmittags in die Regale eingeräumt habe. Ich habe oft nach der Schule im Konsum gespielt, manchmal durfte ich auch an der Kasse sitzen. Ich kann mich auch daran erinnern, dass ich ab und zu die Wellpappe von den Verpackungen der Warenpakete zum Altstoffhandel in Falkensee gebracht habe. Da habe ich mir als Grundschüler immer ein paar Ostmark dazu verdient. Mit dem Anhänger habe ich die Pappe transportiert. Das Papierlager vom Konsum war immer voll. Aus heutiger Sicht hätte ich da viel Geld verdienen können, aber ich hatte nicht immer Lust darauf, die Pappe durch Falkensee zu ziehen. Ich muss so acht bis elf Jahre alt gewesen sein zu der Zeit.“

Zu unserem Treffen bringt Holger Kohl auch das rot eingeschlagene Brigade-Buch seiner Mutter mit: „Das haben alle Unternehmen in der DDR geführt, so auch der Konsum. Das ist so etwas wie das Tagebuch einer Firma. Da sind Fotos von allen Kollegen drin. Hat der Konsum einen Ausflug gemacht, so wurde er im Buch protokolliert. Man findet auch Zeitungsausschnitte, in denen der Konsum erwähnt wird. Und viele Fotos. Heute mutet es befremdlich an, dass so ein Buch in einem Unternehmen geführt wird. Aber wenn man es heute aufschlägt, steckt es doch voller schöner Erinnerungen.“

Wie ging eigentlich die Geschichte des Konsums zu Ende? Holger Kohl: „Der Konsum wurde ab 1991 umgebaut und war dann ein ‚Kleinpreiscenter‘ – weiterhin aber unter der Bezeichnung Konsum. Der Konsum hatte am 31. Dezember 1998 das letzte Mal geöffnet. Danach ist dann – nach einer gewissen Zeit des Leerstands – Videoworld eingezogen. Meine Mutter hat noch eine Zeit lang im Groschenmarkt in der Seegefelder Straße gearbeitet, den gab‘s aber erst nach der Wende. Inzwischen ist sie längst auf Rente.“

War Holger Kohl eigentlich bei der FDJ? Holger Kohl: „Bei den Jungpionieren war ich, da gab‘s das blaue Halstuch, das weiß ich noch. Da war man von der 1. bis zur 4. Klasse. In der 5. bis zur 8. Klasse rückte man dann auf zu den Thälmann-Pionieren – mit dem roten Halstuch. Es folgte dann die FDJ mit den blauen Hemden. Für die war ich aber noch zu jung. Als die Wende kam, war ich in der 8. Klasse. Und damit genau im richtigen Alter für die Jugendweihe. Die wurde uns vorenthalten. Es hieß, das macht man jetzt nicht mehr, das sei ein Relikt aus dem Osten. Wir fühlten uns um die Feier und auch um die Geldgeschenke der Verwandten betrogen, die es bei einer solchen Jugendweihe immer gab. Dann hieß es: Lass dich doch konfirmieren. Das habe ich auch gemacht – in der evangelischen Kirche am Pfarrer-Voigt-Platz. Wir waren damals alle nicht getauft, also wurden wir gleichzeitig getauft und konfirmiert. Es hat übrigens einige Jahre gedauert, bis die Jugendweihe in Falkensee wieder Fuß gefasst hat. Von dem Geld, das ich auf meiner Konfirmationsfeier bekommen habe, kaufte ich mir dann für 399 Mark meinen allerersten Fernseher – mit Fernbedienung.“ (Foto: CS)

Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 159 (6/2019).

Der Beitrag 30 Jahre Mauerfall – Zeitzeugen 2 – Als Kind im Konsum erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.


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