Quantcast
Channel: Seite 85 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
Viewing all articles
Browse latest Browse all 5295

Christopher Street Day mitten in Falkensee: Bunte Parade!

$
0
0

Vor genau 50 Jahren wehrten sich Schwule, Lesben, Transsexuelle, Drags und Sexarbeiterinnen in der New Yorker Bar „Stonewall Inn“ gegen Unterdrückung und polizeiliche Willkür – und machten bei einer Razzia Rabatz. Seitdem gibt es auf der ganzen Welt die ebenso bunte wie quere Demonstration „Christopher Street Day“, kurz CSD abgekürzt. Wo der Name „Christopher Street“ herkommt? Nun, das war der Name der Straße in Greenwich Village, in der die Bar „Stonewall Inn“ zu finden war.

Die größten CSD-Paraden finden hierzulande in Köln und in Berlin statt. Insgesamt 75 deutsche Städte leisten sich ebenfalls einen CSD-Ableger. Nun ist auch Falkensee mit dabei. Hier wurde bereits in den vergangenen beiden Jahren die Regenbogenfahne vor dem Rathaus gehisst. In diesem Jahr wurde der Rahmen aber deutlich größer gesteckt. Das Regenbogencafé Falkensee hatte den ersten CSD in Falkensee organisiert und viele weitere Organisationen und Politiker zum Mitmachen animiert.

Die Kunde von der kleinsten CSD-Stadt im Lande machte schnell die Runde – und so strömten am 28. Juni ab 17 Uhr immer mehr bunt und schrill gekleidete Schwule, Lesben, Queere und einfach nur tolerante Mitbürger vor das Rathaus, um eine friedliche Sause unter dem Motto „Sichtbarkeit, Respekt, Liebe“ zu feiern.

Kathleen Kunath von der Willkommensinitiative: „Wir haben mit etwa 500 CSD-Teilnehmern gerechnet. Es sind aber viel mehr gekommen.“

Vor dem Rathaus gab es viele Reden zu hören, die wirklich spannenden Gespräche wurden aber am Rand geführt. Staatssekretärin Ines Jesse: „Wir sind eine Gesellschaft und wir lassen uns nicht spalten.“

Theobald Goltz aus dem Falkenseer Jugendbeirat berichtete von seinen Erfahrungen: „Homosexualität und queere Lebensweisen waren kein Tabuthema bei uns in der Schule. In meinen Kreisen wurde offen darüber gesprochen, wenn auch nicht besonders oft. Es gab nämlich niemanden, der sich in meiner Umgebung geoutet hätte. Ich denke, manche Mitschüler hätten mit so einem Outing aber schon Probleme gehabt. Und dann blöde Scherze gemacht, ohne sich dabei etwas zu denken.“

Larissa Heiking (19) kommt ebenfalls aus Falkensee. Sie sieht sich als Betroffene: „Ich beschreibe mich als pansexuell. Ich kann für alle Menschen etwas empfinden, für Männer, für Frauen und für alle, die irgendwo dazwischen stehen. Als ich 15 Jahre alt war, habe ich mich in ein Mädchen verliebt. Das hat sich dann geoutet und gesagt, dass sie doch lieber ein Junge sein möchte. Da habe ich gemerkt, dass auch das für mich kein Problem gewesen wäre. Auf dem Falkenseer CSD bin ich vor allem, um Gleichgesinnte kennenzulernen. Ich bin neugierig auf die Menschen, die hierher kommen.“

Und da kam tatsächlich ein wirklich buntes und illustres Volk, darunter viele, die extra für den CSD aus Berlin angereist kamen. Schwule, Lesben und queere Menschen ohne konkretes Geschlecht hatten sich bunt ausstaffiert, extravagant geschminkt und mit bunten Regenbogenflaggen ausgestattet. Es gab aber auch echte Paradiesvögel. Wie das schwule Pärchen, das gleich auf dem Rathausplatz die Hosen herunterließ und die nackte Kehrseite präsentierte. Oder die beiden Fetisch-Freunde, die lederne Hundemasken auf dem Kopf trugen und sich an der Leine spazieren führten.

Doch ganz egal, welchem Lebensstil da jeweils gehuldigt wurde – alle Anwesenden hatten beste Laune, posierten für Bilder, beantworteten Fragen, lagen sich in den Armen und hatten richtig Spaß.

Peter Kissing, Mitglieder der Falkenseer Stadtverordnetenversammlung, resümmierte staunend: „Falkensee entwickelt sich in alle Richtungen – und das ist sehr interessant.“

Während von der Schirmherrin des Falkenseer CSD – Désirée Nick – nichts zu sehen war (sie solle sich in den USA aufhalten, hieß es), setzte sich der bunte CSD-Zug langsam in Bewegung. Die Falkenseer Trommelgruppe Samba Baezz setzte sich an die Spitze und gab einen lauten Beat vor, dem hunderte Füße bereitwillig folgten. Die Polizei hatte die Bahnhofstraße erst einseitig, später sogar beidseitig gesperrt. Für die Autofahrer war das trotz Vorwarnung in den sozialen Netzwerken ein Ärgernis. Wenn auch eins, das nach einer Viertelstunde bereits wieder vorbei war: Die laut Polizeizählung etwa 800 CSD-Demonstranten sammelten sich auf dem Campus-Gelände hinter der neuen Stadthalle. Hier wartete bereits die Frauenband „Die Gabys“ auf die Besucher, die sich bereitmachten, um vor der Bühne noch eine große, ausgelassene Party zu feiern.

Ist es heutzutage noch immer so ein großes Problem, wenn jemand schwul oder lesbisch ist oder plötzlich feststellt, das eigene Geschlecht gar nicht mehr benennen zu können? Anscheinend schon. Denn die Berichterstattung auf Facebook sorgte schnell für erboste Kommentare von Mitbürgern, die eine solche Veranstaltung nicht eben gern in ihrer Stadt sahen: „Oh mein Gott – furchtbar“ – „Das ist bähhhhh“ – „Lächerlich“ – „So eine sinnlose Demo“.

Manuela Dörnenburg, Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte der Stadt Falkensee: „Wie wichtig so eine Veranstaltung wie der CSD noch immer ist, zeigt die große Anzahl der schon vorab geäußerten Beleidigungen und Schmähungen.“

Eine junge Frau hatte auf der Parade durch die Bahnhofstraße diese Antwort zur Hand: „Meine ganze Generation geht doch sehr entspannt mit dem queeren Thema um. Ich glaube, das Problem der Intoleranz ist ein Thema der Älteren. Und das behebt sich damit ganz von alleine.“

Ganz andere Sorgen hatte am Ende eine Krankenschwester vom Deutschen Roten Kreuz. Sie schob einen älteren Mann im Rollstuhl über die Bahnhofstraße: „Ich will nur helfen: Der Mann sucht einen neuen Freund für seinen Lebensabend.“ Ob er ihn gefunden hat? (Text/Fotos: CS)

Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 161 (8/2019).

Der Beitrag Christopher Street Day mitten in Falkensee: Bunte Parade! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 5295