„Am 6. Juni 2019 verhandelt das Schöffengericht mehrere Anklagen gegen die mehrfach einschlägig Vorbestrafte wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Ihr wird vorgeworfen, in mehreren Fällen Gegenstände über Internet-Portale verkauft und den Kaufpreis von den Käufern erhalten zu haben, ohne die Gegenstände an die Käufer zu übersenden, was von Anfang an ihrem Plan entsprochen und der zumindest teilweisen Bestreitung ihres Lebensunterhaltes gedient habe.“
Mit diesen Worten machte das Amtsgericht Nauen auf eine öffentliche Verhandlung aufmerksam. Der Fall erweckt Aufmerksamkeit, weil jeder wohl schon einmal bei einem Kleinanzeigen-Portal im Internet Waren bestellt und bezahlt, diese am Ende aber nie erhalten hat. Was treibt jemanden dazu an, sich auf diese Art des „gewerbsmäßigen Betrugs“ einzulassen?
Vor Gericht wartet eine junge Frau mit gefärbten Haaren und kräftiger Statur auf die Verlesung der Anklage.
Die erste Überraschung: Es geht gleich um eine ganze Reihe von Betrugsanzeigen, die zeitlich von 2017 bis 2019 reichen. In so gut wie allen Fällen geht es eigentlich um kleine Summen. Ein Brautkleid wird für 59,49 Euro veräußert, Stoffe zum Nähen werden für 100 Euro verkauft, eine Jacke geht für 22,35 Euro über den virtuellen Verkaufstisch und ein Rucksack bringt 135 Euro. Nur ein iPad ragt preislich aus diesem Reigen heraus – es wurde für 431,77 Euro verkauft.
Die Verkäufe fanden nicht nur auf der bekannten eBay Plattform statt, sondern auch auf anderen Online-Portalen wie etwa eBay Kleinanzeigen, Mamikreisel.de oder Kleiderkreisel.de. Die Besonderheit: Die Angebote wurden nie unter dem eigenen Namen eingestellt, sondern immer unter verschiedenen Fantasienamen. Weitere Namen, die dem tatsächlichen Namen lautmalerisch schon deutlich ähnlicher waren, wurden bei der Angabe der Bankverbindung genannt.
Die Angeklagte: „Mein echter Name ist bei eBay bereits seit 2015 oder 2016 gesperrt. Es reicht sogar, wenn er in einem Chat auftaucht, dann wird die Aktion sofort gesperrt.“
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass bei der Kontoverbindung ein ähnlicher Name verwendet wird, damit die Bank dies als Schreibfehler auslegt und die Überweisung trotzdem annimmt.
Vor Gericht werden Chat-Verläufe mit den verschiedenen Betroffenen vorgelesen. Demnach wird den Käufern zunächst immer wieder zugesichert, dass die Ware zügig kommt. Pakete sollen verschickt worden sein, seien aber zurückgekommen, weil Adressaufkleber abgerissen waren oder Adressen nicht stimmten. Immer wieder wird den Kunden im Chat gesagt, wenn das Paket nicht kommt, gibt es das Geld zurück. Und dann folgt im Regelfall irgendwann – Schweigen. So lange, bis die geprellten Online-Käufer keine Geduld mehr aufbringen, zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Klar wird beim Verlesen der Chat-Verläufe auch, dass einzelne Artikel wie das Brautkleid zeitgleich sogar auf mehreren Portalen angeboten wurden.
Hat sich die Angeklagte einen „rechtswidrigen Vermögensvorteil“ verschafft, indem sie die Ware bewusst nicht verschickt hat – oder waren alle Fälle nur Zufälle aufgrund widriger Umstände?
Die Frau, die aus Nauen stammt und inzwischen in einer betreuten Familieneinrichtung lebt, bringt zunächst viele Gründe für das Nichtversenden vor und weist darauf hin, dass sie ja auch viele Pakete tatsächlich verschickt habe. Sie muss aber auch vor Gericht eingestehen, dass sie ein iPad nie besessen habe und dass sie viele Bestellungen nie ausgeführt und den Kontakt zu den Kunden bewusst abgebrochen hat.
Die Angeklagte: „Ich weiß nicht, was das mit mir ist. Ich packe die Pakete, sie stehen zum Wegbringen bereit – und dann tue ich das einfach nicht. Ich kann mir das selbst nicht erklären.“
Immerhin: Das Geld aus den Verkäufen wurde nicht für Luxus ausgegeben. Es floss in die ganz normale Haushaltskasse der Familie ein und wurde genutzt, um Essen und Trinken auch für die Kinder einzukaufen.
Ledig, Kinder, Schuldnerberatung
Die Angeklagte ist ledig, so wird es in der Verhandlung thematisiert. Sie hat eine Ausbildung zur Friseurin abgebrochen und lebt von Sozialleistungen. Die Frau kümmert sich um ihre Kinder, die alle noch unter zehn Jahre alt sind. Mit dem Vater, der vor Gericht als stark drogen- und alkoholabhängig beschrieben wird, besteht seit über einem Jahr gar kein Kontakt mehr, in der betreuenden Einrichtung hat er Hausverbot. Etwa 1.800 Euro werden ihr als Kindergeld und als Vorschuss auf den zu erwartenden Unterhalt von den Ämtern pro Monat ausbezahlt. Geld, bei dem das Gericht davon ausgeht, dass es reicht, um damit die Familie zu ernähren.
In der betreuten Familieneinrichtung wird die junge Frau wieder an einen normalen Alltag herangeführt. Eine Schuldnerberatung kümmert sich vor Ort um sie. So konnten bereits einige der sich aufgetürmten Schulden – etwa für die Kitabetreuung der Kinder oder für den bezogenen Strom – zurückgezahlt werden.
Am 1. April 2018 hat die Frau außerdem eine kostenpflichtige Ausbildung zur Modedesignerin angetreten, die im Monat 139,49 Euro kostet – die Hälfte des Geldes bezahlt die Mutter der Angeklagten. Seit einem dreiviertel Jahr ruht aber auch diese Ausbildung: „Die Kinder waren laufend krank und dann habe ich auch Rücken bekommen.“
Nicht das erste Mal vor Gericht
Schnell kommt heraus: Die geständige, aber sehr einsilbig sprechende Angeklagte („Ja, es ist alles so“) ist nicht das erste Mal vor Gericht. Wegen exakt des gleichen Tatbestands gab es bereits zahlreiche Anzeigen und Verhandlungen in der Vergangenheit. Für zehn Tage musste die Mutter von fünf Kindern sogar in Haft.
Zu folgeschweren Verhandlungen vor Gericht kam es im Januar 2018 vor dem Amtsgericht Nauen und im Juli 2018 vor dem Landgericht Postdam. Hier ergingen Bewährungsurteile – als letzte mahnende Warnungen, unbedingt damit aufzuhören, das „Vermögen eines anderen durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zu schmälern.“
Und: Das Zentralregister der Angeklagten würde bereits neun Eintragungen mit Verurteilungen aus der Vergangenheit aufweisen, darunter Betrugsfälle und sogar einen Fall von gemeinschaftlichem Diebstahl.
Jetzt scheint es also ernst zu werden vor Gericht. Nun also wieder vor dem Amtsgericht Nauen ist die Staatsanwältin enttäuscht von der erneuten kriminellen Energie der Vielfachmutter: „Sie haben uns doch in die Hand versprochen, damit aufzuhören.“
Die Bewährungshelferin sagt aus, dass ihr noch kurz vor der öffentlichen Verhandlung versichert wurde, dass es keine neuen Betrugsfälle gäbe: „Mir wäre es am liebsten, die Frau würde gar keinen Rechner mehr anfassen oder zumindest die Verkaufsportale nicht mehr nutzen dürfen.“
Sie gab das Vertrauensverhältnis inzwischen als zerrüttet an und wies darauf hin, dass einige neue Betrugsanzeigen erst aufgekommen sind, nachdem sich die Beschuldigte vor dem Landgericht einsichtig zeigte und versprach, so etwas nie wieder zu tun. Auch der Aufenthalt in der betreuten Familieneinrichtung oder die Aufmerksamkeit einer Schuldnerberatung hätten leider nicht dazu beigetragen, die Angeklagte von ihrem Tun abzuhalten. Die Bewährungshelferin zeigte sich damit mit ihrem Latein am Ende.
Klar wurde vor Gericht auch: Eine Privatinsolvenz der Beschuldigten wurde bislang noch nicht beantragt. Auch eine psychiatrische Untersuchung wurde noch nicht vorgenommen.
Letztere beantragt der Pflichtverteidiger, der der Beschuldigten zugewiesen wurde: „Ich würde gern eine psychiatrische Begutachtung hinsichtlich der Schuldfähigkeit beantragen. Ich sehe hier Züge eines zwanghaften Verhaltens.“ Diese Begutachtung lehnt die Richterin allerdings nach einer kurzen Beratung mit den Schöffen ab, denn sie könne nicht erkennen, dass eine psychische Krankheit vorliegt, „nur weil jemand viele Straftaten begeht“.
Aufgrund der „Vielzahl einschlägiger Taten in weiteren Fällen“ und der bereits erfolgten Verhandlungen vor Gericht sieht sich die Staatsanwaltschaft nicht dazu in der Lage, eine weitere Strafe zur Bewährung zu fordern. Sie erzählt, dass unzählige Verfahren bereits im Vorfeld eingestellt wurden und dass die Beschuldigte sogar Konten auf die Namen ihrer Kinder eröffnet habe: „Die haben wir hier dann als Beschuldigte geführt.“ Die Ausreden will die Staatsanwaltschaft nicht mehr gelten lassen: „Sie vergessen seit fünf, sechs Jahren permanent, die Ware loszusenden. Ihre Ausreden kennen wir bereits seit vielen Jahren. Und sie haben weitergemacht, obwohl eine bitterernste Strafe droht.“
Die Staatsanwaltschaft beantragt vor Gericht eine Freiheitsstrafe – addiert aus den Einzelfällen – von vier Jahren. Und eine Vermögensabschöpfung, damit die geprellten Käufer ihr Geld zurückerhalten. Die Verteidigung fragt da noch einmal kritisch nach, ob die Beklagte in psychiatrischer Behandlung nicht besser aufgehoben wäre als in Strafhaft.
Nach einem langen Verhandlungstag wird die Beschuldigte „im Namen des Volkes“ und unter Berücksichtigung der alten Urteile wegen gewerbsmäßigem Betrug zu in Summe drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Sie muss den Käufern in neun Fällen das Geld zurückzahlen und die Kosten des Verfahrens tragen. Gegen das Urteil kann Berufung oder Revision eingelegt werden. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 160 (7/2019).
Der Beitrag Amtsgericht Nauen: Geduld zu Ende – Bei eBay Waren verkauft, diese aber nicht geliefert! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.