Quantcast
Channel: Seite 85 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
Viewing all articles
Browse latest Browse all 5295

Zu gut für die Tonne: Uwe Feiler (MdB) geht der Nahrungsmittelverschwendung nach!

$
0
0

Fleisch, Brot, Obst und Gemüse: Vieles von dem, was im Land produziert wird, landet am Ende ungegessen in der Mülltonne. Eine Studie des Thünen-Instituts von 2019, im Auftrag des Bundesernährungsministeriums durchgeführt, bringt es an den Tag: 12 Millionen Tonnen Lebensmittel werden pro Jahr in Deutschland weggeschmissen. Schaut man sich die Verwertungskette vom Erzeuger über den Händler bis zum Endverbraucher an, so staunt man: Mit 52 Prozent entsteht der größte Anteil der Lebensmittelabfälle in den privaten Haushalten.

Diese Zahl drückt es sicherlich konkreter aus: Jede Person in Deutschland schmeißt im Jahr 75 Kilo Lebensmittel weg.

Uwe Feiler (MdB), Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, ist selbst Landwirt. Seine Familie betreibt einen Spargelhof in Spaatz. Er weiß, dass in der Primärproduktion bei den Landwirten nur 12 Prozent der Lebensmittelabfälle entstehen. Auch der Handel ist mit vier Prozent nur sehr kleinteilig an der Nahrungsmittelverschwendung beteiligt.

Aber gerade im Handel kommt es zurzeit zu einem starken Umdenken: Lebensmittel werden deutlich bewusster behandelt. Die in der Presse gern gezeigte Abfalltonne mit weggeworfenen Lebensmitteln, die hinter dem Supermarkt steht, gehört nahezu der Vergangenheit an. Vielleicht kann das Umdenken der Händler ja auch auf den Endverbraucher abfärben.

Um neue Strategien im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung kennenzulernen, stellte Uwe Feiler seine alljährliche Sommertour durch das Havelland in diesem Jahr unter das Motto „Zu gut für die Tonne“. Am 13. und 14. August fuhr er ein knappes Dutzend Stationen an, um sich direkt vor Ort zu informieren.

So etwa auch den Damwildhof Kraatz, der in Pausin zu finden ist. Auf dem Hof ging es vor allem um die Probleme der Erzeuger. Uwe Feiler: „Es gibt in den Städten einen falschen Eindruck davon, wie Landwirtschaft wirklich aussieht. Man muss sich nur einmal die Schulbücher anschauen. Wie da die Landwirtschaft dargestellt wird, das ist meilenweit von der Realität entfernt. Wenn die Kinder in der Schulküche nicht mehr den Brokkoli vom Blumenkohl unterscheiden können, dann läuft doch etwas falsch.“

Landwirt Sven Kraatz baut Spargel an, verwertet das Wild der Jäger und setzt auf eigene Hühner zur Eierproduktion: „Wir haben einen mobilen Hühnerstall, der ist doppelt so teuer wie ein klassischer Stall, erlaubt es aber, die Hühner immer wieder auf frische, unverbrauchte Flächen zu bringen. Unsere 300 Hühner laufen im Freien herum. Der Habicht holt sich da gern einmal ein Huhn weg. Das ist unwirtschaftlich, aber leider nicht zu ändern.“

Bei den Hühnereiern gibt es keine Verschwendung auf dem Hof. Die Nachfrage ist enorm, die Kunden kaufen die Eier im Hofladen und in einem im Ort aufgestellten gekühlten Eierautomaten.

Sven Kraatz: „Wenn ich meine Hühner gewerblich halte und nicht für den Eigenbedarf, dann darf ich sie leider nicht mit Lebensmittelresten aus der eigenen Küche füttern. Das finde ich nicht gut, das war doch früher immer so auf dem Dorf, dass die Hühner alle Reste bekommen.“

Bodo Oehme, Bürgermeister von Schönwalde-Glien: „Wenn wir Nachhaltigkeit predigen, dann müssen wir dafür auch den Rahmen schaffen. Wir schmeißen so viel Lebensmittel weg. Wenn wir das auf dem Land an die Tiere verfüttern können, dann wäre das ein echter Vorteil.“

Keine Verschwendung gibt es auch bei den Hühnern selbst, die alle 14 Monate „ausgestallt“ und gegen neue Tiere ersetzt werden. Sven Kraatz: „Die alten Hühner verkaufen wir an Privatpersonen, die immer häufiger Hühner im eigenen Garten halten. Denen reicht es auch aus, wenn das Huhn nur alle zwei Tage ein Ei legt.“

Raus aus der Produktion, rein in den Einzelhandel: Wie hält es eigentlich ein Bäcker mit der möglichst vollständigen Verwertung seiner Backwaren? Der „Zu-gut-für-die-Tonne“-Tross fuhr weiter zur Bäckerei Giede in Falkensee. Klaus-Dietrich Giede betreibt zusammen mit seinem Sohn und seinem Team eine Produktionsstätte und eine Filiale in der Gartenstadt. Er sagt: „Uns gibt es vor Ort schon seit vielen Jahrzehnten. Wir haben längst ein Gefühl für die Wünsche unserer Kunden und wissen in etwa, was sie an Broten und Brötchen einkaufen werden. So können wir schon recht genau für den Tagesbedarf produzieren. Da kann es aber trotzdem passieren, dass kurz vor 18 Uhr nicht mehr das gesamte Sortiment vorrätig ist. Aber man kann ja mit uns reden: Wer kurz vor 18 Uhr ein bestimmtes Brot einkaufen möchte, kann es gern vorbestellen.“

Was sich am Tag selbst nicht verkauft, landet nicht in der Mülltonne, sondern wird am Folgetag zum halben Preis verkauft. Kuchen von gestern wird so die ganze Woche über reduziert, das Brot allerdings nur am Sonntag: „Unser Brot ist ein echtes Bäckerbrot. Das ist am nächsten Tag noch längst nicht trocken, da isst man die halbe Woche von.“

Aus den Brötchen, die sich nicht verkaufen, machen die Bäcker Semmelbrösel. Klaus-Dietrich Giede: „Die nutzt man, wenn es Schnitzel gibt oder man Bouletten macht. In unseren Brötchen stecken ja keine Konservierungsmittel, das ist alles natürlich. Es lohnt sich übrigens, Omas alte Rezepte aus dem Krieg noch einmal hervorzuholen. Unsere Vorfahren kannten ja noch die gute alte Brotsuppe aus den Brotresten von gestern.“

Was nach dieser internen Verwertungskette noch übrig bleibt, holt Montag, Mittwoch und Freitag die Falkenseer Tafel ab.

Klaus-Dietrich Giede: „So etwas wie eine Biotonne brauchen wir nicht. Ich habe hier auch noch Kunden, die holen sich gern ab und zu trockene Brötchen für ihre Kaninchen ab. Alles wird verwertet, nichts wird weggeworfen.“

Wie sieht es denn da bei einem großen Supermarkt aus? Da landet doch bestimmt viel Essen in der Mülltonne? Bei einem Besuch bei LIDL Falkensee kommt es aber zu einer echten Überraschung.

Patrick Scheuermann, Geschäftsführer der Lidl-Regionalgesellschaft Kremmen: „Gerade bei Obst und Gemüse ist die Planung ganz besonders wichtig. Wir stehen in einem ganz engen Austausch mit unseren Lieferanten. Schon vor der Saison sagen wir ihnen ganz klar, was wir brauchen. So können wir dazu beitragen, eine Überproduktion zu vermeiden. Die Filialen bestellen tagesaktuell für den folgenden Tag. So können sie schnell reagieren, wenn das Wetter wechselt – und sich damit auch das Einkaufsverhalten der Kunden ändert.“

Viele kluge Ideen werden erst nach und nach sichtbar, wenn man einmal genauer hinsieht. So entdeckt man im Obstregal auf einmal Behälter mit einer „Tomatenbasis“. Das sind pürierte Tomaten, die man etwa für einen Bolognese-Ansatz oder einen Pizzabelag verwenden kann.

Patrick Scheuermann: „Wir legen ja großen Wert auf hochwertiges Obst und Gemüse. Normalerweise sortiert der Erzeuger deswegen alle Früchte aus, die nicht ganz der Norm entsprechen. Bei den Tomaten werden diese Früchten nun nicht mehr weggeworfen, sondern eben püriert – und von uns in dieser neuen Form angeboten. So wirken wir bereits beim Erzeuger der Verschwendung entgegen.“

Auch bei den Backwaren passt LIDL auf. Patrick Scheuermann: „Wir backen mehrmals täglich. Dabei wissen wir bereits in der Filiale, was der Kunde gern am Vormittag, am Mittag oder am Nachmittag kauft – und passen uns an. Wir wissen auch: Regnet es, kommen weniger Kunden zum Einkaufen. Dann wird eben auch weniger Brot gebacken. Da wir aber bis abends Brot anbieten möchten, bleibt zwangsläufig etwas übrig.“

Das kommt aber nicht in die Mülltonne. Stattdessen gibt es einen eigenen Aufsteller im Geschäft mit dem Titel „Ich bin noch gut“. Hier lassen sich Brötchen und Brote vom Vortag mit bis zu 50 Prozent Rabatt erstehen. Patrick Scheuermann: „Seit Februar 2020 haben wir grün markierte Auslagen mit dem Slogan ‚Ich bin noch gut‘ überall in den Filialen ins Sortiment integriert. Hier sammeln wir Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum in einigen Tagen abläuft – und bieten sie zum reduzierten Preis an. Das funktioniert sehr gut. Unsere Kunden nehmen das gut an und retten so die Lebensmittel.“

Was auf diese Weise nicht verwertet wird, spendet LIDL der Tafel in Falkensee. Und nicht nur das. Patrick Scheuermann: „Seit zehn Jahren können unsere Kunden am Pfandautomaten ihren Pfand per Knopfdruck direkt an die Tafel spenden. So konnten wir der Tafel unlängst 10.000 Euro für die Anschaffung eines neuen Kühlfahrzeugs zur Verfügung stellen.“

Der Nahrungsmittelverschwendung stellt sich auch Alnatura Dallgow-Döberitz als „Super Natur Markt“ entgegen. Christin Duncker ist die Marktleiterin: „Wir wollen nicht für die Tonne wirtschaften, das ist bei uns Firmenphilosophie. Wir haben zum Glück Biokunden, die auch den Apfel mit einer kleinen Stelle noch mitnehmen und essen. Unser Bestellwesen ist längst sehr ausgeklügelt. So wird tagesgenau nur das bestellt, was auch verkauft wird. Die Vorschläge des Systems werden von unseren Mitarbeitern sogar noch angepasst. Schlägt das Wetter um? Steht im Ort eine große Feier an? Das kann das Einkaufsverhalten der Kunden ändern.“

Das Mindesthaltbarkeitsdatum interpretiert Alnatura ganz streng. Bis zum Erreichen des MHD sind Lebensmittel ja „mindestens haltbar“, also auch darüber hinaus.

Anne Conradi, Gebietsleiterin bei Alnatura: „Erreichen unsere Produkte das Mindesthaltbarkeitsdatum, so reduzieren wir die Ware um 15 bis 50 Prozent. Es gibt in der Filiale immer eine ausgewiesene ‚Rettungszone‘, in der diese Produkte gesammelt werden. Da kann jeder mitmachen – und das wird auch sehr gut angenommen.“

Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter gern selbst verzehren dürfen, was sich nicht mehr verkaufen lässt, aber noch gut ist. Mitunter machen sie dann ein Frühstück daraus oder einen internen Mittagstisch.

Christin Duncker: „Ansonsten arbeiten wir eng mit der Organisation Food Sharing zusammen. Es holen sich auch viele Hasen- und Hühnerbesitzer Salatblätter oder anderes Futter bei uns ab. Für eine Kundin fegen wir sogar die Brotkrümel aus der Brotschneidemaschine zusammen, damit ihre Hühner noch etwas davon haben. Ansonsten geben wir unseren Kunden gern Tipps und Tricks weiter. Etwa, wie sich Kohlrabiblätter verwenden lassen oder was man mit dem Kaffeesatz noch alles machen kann.“

Alnatura arbeitet auch mit „Too good to go“ zusammen. In der gleichnamigen App können Kunden eine Tüte mit zu rettenden Lebensmitteln zum Schnäppchenpreis erwerben und sie dann in der Filiale abholen. Vor allem Obst und Gemüse sowie Backwaren wandern bei Alnatura in diese Tüten.

Christin Duncker: „Wir haben eine Biotonne für alle Lebensmittel, die am Ende nicht verwertbar sind. Diese Tonne wird alle zwei Wochen geleert. Da werden wir immer belächelt, wie wenig in der Tonne ist.“

Sven Richter möchte in Dallgow-Döberitz gern Bürgermeister werden. Er hatte Alnatura für die Uwe-Feiler-Sommertour vorgeschlagen. Auch, weil er als Konsument selbst Verantwortung trägt: „Meine Frau ist da sehr stringent. Sie versucht alles zu verwerten und vor der Mülltonne zu retten. Dann gibt es auch schon einmal ein Resteessen.“

Anne Conradi: „Dieses Denken ist leider noch kein Mainstream. Corona hat aber dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen umdenken und sich fragen: Muss ich wirklich so viel konsumieren?“

Dringend angewiesen auf das schrittweise Umdenken und Entgegenkommen der Supermärkte ist auch die Falkenseer Tafel. Der Verein, der im Ort seit 20 Jahren besteht, gibt die Lebensmittelspenden immer am Dienstag, Donnerstag und Sonntag gegen eine kleine Pauschale für die Miet- und Betriebskosten an Bedürftige weiter. Der Vorsitzende Dr. Volker Mueller ist auf ehrenamtlicher Basis tätig: „Wir machen bei den Menschen, die das Angebot der Tafel nutzen möchten, eine Bedürftigkeitsprüfung. Die Armutsgrenze liegt in Brandenburg zurzeit bei einem Einkommen von 900 Euro netto. Auch wenn man die Flüchtlinge außen vor lässt, so sind noch immer 500 Haushalte in Falkensee bedürftig – das ist eine sehr hohe Zahl.“

Spenden bekommt die Tafel u.a. vom roten Netto, von LIDL, von REWE und von ALDI. Dr. Volker Mueller: „Da kann es schon einmal vorkommen, dass ein Markt Lagerkapazitäten braucht und eine Palette Ketchup ausrangiert und spendet. Da tauschen wir das, was zu viel ist, mit anderen Tafeln. Pro Ausgabetag verarbeiten wir etwa eine Tonne Lebensmittel. Gerade bei Obst und Gemüse haben unsere Lebensmittelsortierer viel zu tun. Zehn Prozent müssen wir aussortieren und wegwerfen, im Sommer kann es auch mehr sein.“

Unter dem Motto Deutschland rettet Lebensmittel! findet vom 22. bis 29. September die erste bundesweite Zu gut für die Tonne! – Aktionswoche (www.zugutfuerdietonne.de) statt. Ziel ist es, mit Aktionen im ganzen Land auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen und eine Bewegung für mehr Wertschätzung der Lebensmittel zu initiieren.

Uwe Feiler: „Auch das Havelland wird sich mit vielen Aktionen an dieser Woche beteiligen. Für Schüler wird es so etwa ein Quiz ‚Wie bestücke ich meinen Kühlschrank richtig‘ geben.“ (Text/Fotos: CS)

Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 174 (9/2020).

Der Beitrag Zu gut für die Tonne: Uwe Feiler (MdB) geht der Nahrungsmittelverschwendung nach! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 5295