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Channel: Seite 85 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Graslandschaften: In Berge wird zu Forschungszwecken Cannabis angepflanzt!

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Da staunten Landrat Roger Lewandowski, Nauens Bürgermeister Manuel Meger und Ortsvorsteher Peter Kaim bei einem Lokaltermin in Berge nicht schlecht: Auf einmal standen sie mitten in einer weitläufigen Cannabis-Plantage. Die ölig riechenden weiblichen Stauden der Hanf-Pflanzen wuchsen ihnen bis über die Köpfe und ließen schnell die Frage aufkommen: Ja, ist das denn legal?

Um das beantworten zu können, muss man weiter ausholen. Vor Ort gibt es bereits seit vielen Jahren die „Landwirtschaftliche Versuchsstation Berge“ (www.berge.asp-berlin.de), die zum „Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin (IASP)“ gehört.

Dr. Andreas Muskolus, der bereits seit zehn Jahren in Berge für die IASP (www.iasp-berlin.de) tätig ist, erklärt: „Unser unabhängiges und gemeinnütziges Institut ist an die Humboldt-Universität nur angebunden und wird durch einen Verein getragen. Unsere 35 Wissenschaftler in Berlin und Berge betreuen auch Studenten und Doktoranden. Wir erhalten aber keine Gelder und müssen uns über Fördertöpfe und bezahlte Forschungsprojekte selbst finanzieren. Das IASP beschäftigt sich im Auftrag von mittelständischen Betrieben, renommierten Forschungseinrichtungen und Großkonzernen mit Themen wie der Pflanzenhaltung, dem Tierwohl, der Fleischwirtschaft oder dem Urbanen Grün. Dabei kommen wir auf einen Umsatz von zurzeit 2,5 Millionen Euro im Jahr.“

In Berge stehen den Forschern 13 Hektar Nutzfläche zur Verfügung. Zahlreiche Feldversuche finden hier vor allem im Auftrag der Industrie statt. Dr. Andreas Muskolus: „Dabei müssen wir alles selbst machen. Wenn wir also drei Hektar Weizen einholen möchten, dann brauchen wir einen eigenen Mähdrescher. In den letzten zehn Jahren haben wir – ohne Kredite – viel Geld in neue Technik investiert, sodass wir alle anfallenden Arbeiten autark erledigen können. Außer mir gibt es in Berge zwei weitere Vollzeitstellen. Zwei Praktikanten wohnen auf dem Gelände. Und zwei ältere Herren gehen uns zur Hand. Viele Wissenschaftler aus Berlin besuchen uns regelmäßig.“

Am 4. September nutzte Roger Lewandowski als Landrat des Havellands die Gelegenheit, die Landwirtschaftliche Versuchsstation Berge einmal näher kennenzulernen. Das ließ sich auch Nauens Bürgermeister Manuel Meger nicht entgehen, der kaum hundert Meter Luftlinie vom Institut entfernt wohnt. Ortsvorsteher Peter Kaim ist mit seinem Havellandhof Ribbeck eh in vielen Projekten und Hilfsdiensten eng mit der Forschungsstation verbandelt.

Dr. Andreas Muskolus stellte den Besuchern verschiedene Forschungsprojekte vor. Da ging es etwa um die Produktneuentwicklung und die Idee, den finalen Geschmack etwa von Kohl über verschiedene Mikronährstoffe zu beeinflussen, die über den Dünger mit in die Erde eingebracht werden.

Ein großes Thema sei auch der vegane Milchersatz. Dr. Andreas Muskolus: „Der städtische Verbraucher will das unbedingt und im zunehmenden Maße haben. Nur muss diese Hafermilch eben auch wie normale Milch schäumen und im Kaffee funktionieren. Da gilt es dann, verschiedenste Zutaten zu kombinieren, bis der gewünschte Effekt erzielt wird. Wichtig sind uns Forschern dabei immer wieder nachhaltige Kreisläufe. Wird vor Ort der Hafer für die Hafermilch geerntet, so wäre es gut, wenn die Fäkalien der Nutzer am Ende nicht in der Kläranlage landen, sondern wieder aufs Feld gebracht werden, sodass sich der Nährstoffkreislauf schließt.“

Ebenfalls sehr spannend: Vor acht Jahren kam ein Züchtungsunternehmen auf die IASP zu. Sie wollten einen Raps entwickeln, bei dem die Samen nicht so schnell aus der Schote fallen. Das kann schließlich zu hohen Ernteverlusten führen. Dr. Andreas Muskolus: „Die Frage ist natürlich, wie messen wir das? Wir haben die Platzfestigkeit der Schoten gemessen und etwa 120.000 Rapsschoten in eine Versuchsapparatur eingespannt und gezielt aufreißen lassen. 150 verschiedene Genotypen wurden untersucht, bis die platzfeste Sorte gefunden war. Es gab auch Aussagen, dass bestimmte Pflanzenschutzmittel und Funghizide die Platzfestigkeit erhöhen. Das konnten wir im Versuch nicht feststellen.“

Klar ist den Forschern auch, dass sich das Zeitalter der fossilen Dünger, die die Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg nachhaltig geprägt haben, seinem Ende entgegen neigt. Aus diesem Grund sucht die IASP, übrigens ein Institut der Zuse-Gemeinschaft, nach der Möglichkeit, neue Nährstoff-Kreisläufe zu etablieren. Dr. Andreas Muskolus: „Aus dem Klärwerk beziehen wir sogenanntes Struvit. Das ist ein wasserhaltiges Ammoniummagnesiumphosphat, das sich im Klärwerk absetzt. Es ist für den Landwirt zu klebrig, es passt nicht durch den Rieseler. Wir experimentieren deswegen mit einer Kartoffelunterfußdüngung mit Struvit. Hier kommt ein Düngeband zum Einsatz, das wenigstens zwei Jahre lang Nährstoffe an die Pflanze abgibt. Recycling-Dünger sind leider oft Schwermetall-belastet. Struvit könnte ein erster Anfang sein.“

Die Forscher testen vor Ort auch die Düngeleistung von Rückständen, die etwa bei der zur Biogasgewinnung verwendeten Gülle übrig bleiben: „Fünf verschiedene Gärreste etwa nur aus Schweine- oder aus Rindergülle geben wir in den Boden und schauen, wie sich das auswirkt – etwa auf die Struktur des Bodens, auf die Anzahl der Regenwürmer oder auf die Bodenchemie. Allein auf diesem Versuchsansatz liegen mehrere Doktorarbeiten in Berge.“

Und dann geht es in Berge auch noch um ein sehr heikles Thema – Cannabis. Mitten auf dem freien Feld stehen die Besucher plötzlich in einer Hanf-Plantage. Die Pflanzen sind so hoch wie Mais und strömen den typischen Cannabis-Geruch aus.

Dr. Andreas Muskolus: „Bei uns läuft ein dreijähriger Feldversuch mit Cannabis für die medizinische Anwendung – im Auftrag der German Cannabis Group (GCG, www.germancannabisgroup.de). Das Ziel ist es hier, den Anbau von Hanf für die medizinische Verwendung im Havelland vorzubereiten. Die aktuell verschriebenen THC- und CBD-Präparate in Deutschland müssen zurzeit noch durch Quellen aus dem Ausland abgedeckt werden. Es ist das Ziel der Bundesregierung, in Zukunft THC- und CBD-Medikamente auch in Deutschland herzustellen. Die ersten Lizenzen wurden vergeben, die Mengen reichen aber bei weitem nicht aus. Wir haben von der Bundesopiumstelle die Erlaubnis erhalten, Versuche mit Hanf durchzuführen.“

Während das THC im Cannabis für den typischen Marihuana-Rausch verantwortlich zeichnet, schreiben immer mehr Nutzer den CBD-Präparaten eine heilende Wirkung zu. Die Wirkstoffe stecken übrigens in den Härchen der weiblichen Blüten.

Dr. Andreas Muskolus: „Ganz viel Geld wird in Zukunft mit dem Hanf verdient werden. Wir arbeiten mit EU-zugelassenen Sorten, die unter 0,2 Prozent THC und etwa 5 Prozent CBD produzieren. Wir nutzen dazu – neben einem Hektar Cannabis an einem anderen Ort im Berliner Speckgürtel – ein kleineres Feld bei uns in Berge – das jetzt abgeerntet wird. So sammeln wir Erfahrungen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Uns interessiert: Wie klappt das mit dem Ackerbau? Unseren Hanf haben wir ohne Dünger und Herbizide angepflanzt. Er ist super angewachsen und hat sogar das hier vorherrschende Unkraut verdrängt.“

Der Landrat staunte. Roger Lewandowski: „So nah an Cannabis bin ich bislang mein ganzes Leben noch nicht gekommen.“ (Text/Fotos: CS)

Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 175 (10/2020).

Der Beitrag Graslandschaften: In Berge wird zu Forschungszwecken Cannabis angepflanzt! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.


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