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Channel: Seite 85 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Interview: Ronald Rauhe aus Falkensee ist Olympiasieger im Vierer-Kajak!

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Ronald Rauhe lebt mit seiner Familie in Falkensee. In diesem Jahr hat er bereits zum sechsten Mal an den Olympischen Spielen teilgenommen – und im Vierer-Kajak auf 500 Meter noch einmal in einem spektakulären Finish Gold für Deutschland geholt. Bereits vor den Spielen kündigte der Sportsoldat an, dass dies seine letzte Teilnahme sein wird. Das war Anlass genug für „Unser Havelland“, den Ausnahmesportler zum Interview zu bitten. Die Fragen stellte Carsten Scheibe.

Sie sind Wahl-Falkenseer. Wo sind Sie geboren, wie alt sind Sie, und wie sieht es mit der sportlichen Entwicklung aus? Stand der Wassersport mit dem Kajak gleich im Fokus oder begann das sportliche Interesse doch eher mit Volleyball oder einer anderen Sportart?

Ronald Rauhe: „Für Volleyball bin ich deutlich zu klein, das kann ich gleich vorwegnehmen.
Ich bin fast vierzig. Ich habe am 3. Oktober Geburtstag, es ist also nicht mehr weit bis dahin. Geboren wurde ich in Berlin-Spandau und zwar im Waldkrankenhaus. Ich bin auch gar nicht so weit weg von hier aufgewachsen, nämlich in Haselhorst. Da bin ich in die Fußstapfen meiner Eltern getreten, die waren beide auch Kanuten. Ich bin in ihrem lokalen Verein groß geworden und habe da viel Kontakt zum Wasser gehabt. Ich habe aber auch generell eine große Nähe zu anderen Sportarten. Schon in meiner Kindheit habe ich alles mögliche ausprobiert – nur eben kein Volleyball. Dafür aber Fußball und Eishockey, ich bin sogar Skirennen gefahren. Das sind Sachen, die man nicht unbedingt mit mir in Verbindung bringt. Ich habe also vieles ausprobiert, mich aber am Ende doch für das Kajak entschieden. Im Sommer draußen in der Natur und vor allem auf dem Wasser zu sein, war für mich einfach schon immer die Erfüllung.“

Können Sie uns Ihre Sportart kurz vorstellen?

Ronald Rauhe: „Es gibt bei uns drei Bootsvarianten, das ist der Einer, der Zweier und der Vierer. Und dann gibt es wiederum auch drei Strecken, das sind 200, 500 und 1.000 Meter. Für mich gilt immer: je kürzer, desto besser. Ich bin da nicht unbedingt ein Ausdauersportler. Die Boote selbst sind sehr, sehr schmal. Die sind tatsächlich maßgeschneidert und wurden dabei an unsere Hüftbreite angepasst. In so einem Boot steckt ganz viel Knowhow, das ist fast so wie im Formel-1-Motorsport. Da ist ganz viel Ingenieurskunst mit dabei. Es ist übrigens eine echte Herausforderung, in so einem Boot zu sitzen. In meiner Studienzeit habe ich viele Mittagessen gewonnen, weil ich gewettet habe, dass sich niemand in so ein Boot hineinsetzen kann. Selbst mit Festhalten an einem Steg schafft man es als Laie nicht, in so einem Boot zu sitzen.“

Kleiner Schlenker: Wie sind Sie eigentlich von Spandau nach Falkensee gekommen und was gefällt Ihnen an Falkensee am besten?

Ronald Rauhe: „Wie ich nach Falkensee gekommen bin? Auch das kam durch den Sport: Ich bin Rad gefahren. Dabei bin ich am Falkenhagener See vorbeigefahren. Da habe ich ein Grundstück gesehen, in das ich mich sofort verliebt habe. Ich habe glücklicherweise viel Mut bewiesen und mir das Grundstück dann gekauft. Da war ich noch relativ jung, also gerade einmal 21 Jahre alt. Ich habe lange darauf zugearbeitet, dass ich mir ein Haus so auf das Grundstück bauen konnte, wie ich mir das immer vorgestellt habe.
In Falkensee habe ich mich sofort wohlgefühlt. Ich finde einfach die Nähe zu Berlin sehr reizvoll. Ich bin jemand, der viel Trubel hat. Da ist es schön, nach Hause zu kommen und zu wissen, dass man sich entspannen und die Ruhe genießen kann.“

Gab es in Ihrer Karriere Sportverletzungen zu beklagen? Und nach all den vielen Jahren: Was tut am meisten weh?

Ronald Rauhe: „Sportverletzungen sind bei uns eher selten, da wir ja keine Kontaktsportart sind. Was bei uns allerdings oft auftritt, das sind Verschleißerscheinungen. Ich hatte schon einen Bandscheibenvorfall und auch einen Muskelfaserriss im Bauchmuskel, der ziemlich unangenehm war. In der Nachbetrachtung geht es aber vor allem um Verschleißerscheinungen in den Sehnen und in den Gelenken. Hart war für uns Sportler die Corona-Verschiebung von Olympia. Wir mussten ja im Grunde genommen ganze zwei Jahre lang auf einem extrem hohen und intensiven Niveau trainieren. Da bin ich sehr froh, wenn ich jetzt mit fast vierzig Jahren endlich in Sportrente gehen darf und meinem Körper mal etwas Ruhe gönnen kann.“

Sie sind seit 2015 mit der Kanutin Fanny Fischer verheiratet, die selbst 2008 eine Goldmedaille bei Olympia gewonnen hat. Lernt man im Leistungssport nur andere Sportler kennen?

Ronald Rauhe: „Man verbringt eben viel Zeit miteinander. Gerade als Kanute ist man oft den ganzen Winter über im Süden unterwegs, weil man ja irgendwo trainieren möchte, wo nicht unbedingt Eis auf dem Wasser schwimmt. Da bleibt es nicht aus, dass man sich in so einer Zeit näher kennenlernt, als dies normalerweise der Fall ist. Auf diese Weise haben wir uns glücklicherweise gefunden.
Meine Frau hat ihre sportliche Karriere aber auch relativ zeitnah beendet. Das hat uns als Berufssportler die Möglichkeit eröffnet, eine Familie zu gründen. Der große Vorteil für mich war in der Folge, dass meine Frau genau versteht, was ich für den Sport mache. Sie hat das entsprechend auch unterstützt.“

Sie sind Leistungssportler und wurden von der Bundeswehr gefördert. Sie sind also ein Sportsoldat. Wie funktioniert das und welchen Rang bekleiden Sie hier? Mussten Sie auch zur Grundausbildung?

Ronald Rauhe: „Ja, musste ich. Ich muss aber erst einmal ganz klar sagen, das die Möglichkeit, Sportsoldat in Deutschland zu werden, etwas ganz Besonderes ist. Gerade in Leistungssportarten, wie das z.B. beim Kajakfahren der Fall ist, würden wir Sportler es einfach nicht schaffen, normale Berufe zu bekleiden. Wir haben einfach einen vollen Tag. Wir arbeiten ja mit unserem Trainingspensum auch tatsächlich acht bis neun Stunden am Tag. Deswegen ist das ein ganz wichtiger Förderpunkt, dass wir in Deutschland die Möglichkeit haben, Sportsoldat zu werden. Auch die Bundespolizei in Brandenburg, die Landespolizei und sogar die Feuerwehr schaffen solche Stellen.
Als Sportsoldat musste ich wie jeder andere Soldat auch die Grundausbildung absolvieren. Die meisten wissen das nicht, aber wir Sportsoldaten müssen auch, um die verschiedenen Dienstränge zu erlangen, die entsprechenden Ausbildungen absolvieren. Im Normalfall gibt es für uns einmal im Jahr eine zweimonatige Ausbildung, während der wir in grüner Kleidung wie alle anderen Soldaten auch unseren normalen Dienst versehen. Während der Zeit zwischen diesen Einheiten sind wir allerdings vom Dienst freigestellt, um Sport zu treiben. Wir repräsentieren in dieser Zeit unser Land. Wir tragen entsprechende Trainingsanzüge, sodass jeder sieht, dass wir Soldaten sind. Ich selbst habe jetzt den höchsten Dienstgrad, den ich als Sportler erreichen darf – weil ich schon so lange mit dabei bin, nämlich 16 Jahre. Ich bin jetzt ein Hauptfeldwebel.“

Sechs Mal waren Sie bei Olympia mit dabei. Wieviele Medaillen haben Sie gewonnen und was war das Besondere bei den einzelnen Olympischen Spielen?

Ronald Rauhe: „Ich bin in der Zeit 16 Mal Weltmeister geworden, habe sechs Olympische Spiele begleitet und fünf olympische Medaillen gewonnen.
Die ersten Spiele für mich fanden im Jahr 2000 in Sydney, Australien, statt. Da war ich gerade einmal 18 Jahre alt. Es war für mich die Erfüllung eines Kindheitstraums, bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. Das hat mich aber zugeich überfordert. Ich habe kaum noch Erinnerungen an diese Tage, weil dieses Erlebnis eine extreme Reizüberflutung für mich war.
Die zweiten Olympischen Spiele fanden dann 2004 in Athen, Griechenland, statt. Da bin ich auch zum ersten Mal Olympiasieger geworden. Das war unbeschreiblich, das ist das, wovon mal als Sportler immer träumt und wofür man so hart trainiert. Griechenland ist bekanntermaßen die Wiege der Olympischen Spiel – man hat als Athlet vor Ort gemerkt, dass die Menschen dort die Wettkämpfe ganz anders erleben.

Danach kam Peking, 2008 in China. Das waren auch kulturell sehr interessante Spiele für mich. Diese Spiele sind mir aber teilweise in nicht so guter Erinnerung geblieben. Wir waren zu dem Zeitpunkt nämlich seit acht Jahren ungeschlagen und sind dann vor Ort im olympischen Rennen um acht Zentimeter geschlagen worden. Das hat sich erst einmal wie eine große Niederlage angefühlt. Für mich hat es einen Lernprozess ausgelöst. Ich habe sehr viel aus dieser vermeintlichen Niederlage mitgenommen. Inzwischen bin ich auch sehr froh über die Silber-Medaille.
2012 habe ich dann in London teilgenommen. Davor war ich aber leider sehr krank und konnte meine Leistungen nicht so abrufen, wie ich das wollte. Ich bin in London zwei Mal Achter geworden, was mich absolut nicht befriedigt hat, weil ich wusste, dass ich eigentlich mehr leisten kann. Ich habe mir dann gesagt, ich gehe noch mal die letzte Etappe in Richtung Rio.
Rio de Janeiro in Brasilien, das war 2016. Ich habe dort mit einer Bronzemedaille ein sehr dramatisches Rennen abgeschlossen. Da dachte ich erst, ich bin Vierter geworden. Erst im Fotofinish wurde vor Ort entschieden, dass es zwei dritte Plätze gibt. Anschließend stand ich mit einem meiner größten Konkurrenten gemeinsam auf dem Treppchen. Das war für mich theoretisch der perfekte Abschluss. Es war eigentlich geplant, dass ich meine Karriere 2016 beende.
Dann wurde plötzlich die olympische Disziplin des Kajak-Vierers auf die halbe Distanz reduziert, also von 1.000 auf 500 Meter. Das ist meine Paradestrecke! Es hat mich einfach gereizt, da konnte ich nicht Nein sagen. 2017 sind wir sofort Weltmeister geworden. Da wussten wir schon, dass es etwas werden kann bei bei den Olympischen Spielen in Japan. Es war für mich in Tokio der krönende Abschluss, als es noch einmal Gold gab.“

Tokio unter Corona-Bedingungen: Wie war das?

Ronald Rauhe: „Wir haben anderthalb Jahre lang gebangt, ob die Olympischen Spiele überhaupt stattfinden können. Selbst drei Monate vorher war ja immer noch nicht klar, ob es sie in diesem Jahr geben würde. Nun fanden die Spiele erstmals ohne Zuschauer statt. Viele fragen, ob ich darüber traurig war. Nein, überhaupt nicht. Zu dem Zeitpunkt war ich einfach nur froh, dass wir überhaupt nach Tokio fahren und dort um Medaillen kämpfen durften.“

Sie haben gesagt, dass die Boote längst technische Hightech-Wunder sind. Nun habe ich gelesen, dass Ihr speziell angefertigtes Boot auf dem Weg nach Tokio zerstört wurde. Da kann man ja nicht einfach eine olle Holzbuchte aus dem Nachbar-Ruderclub als Ersatz verwenden, oder?

Ronald Rauhe: „Das war tatsächlich ein wirklich tragischer Moment für uns. So etwas passiert eigentlich nie, es war der absolute ‚worst case‘, der dort eingetreten ist. Das Schlimme ist, dass es von diesem speziellen Boot, das in Tokio unser Wettkampfboot sein sollte, nur zwei Exemplare gab. Diese Boote waren nicht nur auf uns Sportler maßgeschneidert, sondern auch auf die Strecke in Tokio. Man hat dort mit Seitenwinden gerechnet. Deswegen haben wir das Boot etwas höher gezogen, sodass es auch bei Wellen möglichst gut zu fahren ist. Auch das Steuermanagement war genau auf die Strecke eingestellt. Wir hatten drei Jahre Energie und Entwicklungszeit in das Boot investiert.
Und dann kriegen wir die Nachricht, dass der Gabelstapler beim Verladen ins Flugzeug leider mitten in unser Boot gekracht ist und es zu einem nicht reparablen Schaden gekommen ist. Die große Herausforderung war: Wie kriegen wir nun das zweite Boot aus Duisburg nach Tokio? Am Ende ging es um Stunden. Der Vorfall hat viele Nerven gekostet, uns als Team aber enger zusammengeschweißt.“

Sie haben bereits viele Prominente kennengelernt: Gibt es eine Begegnung, an die Sie gern zurückdenken?

Ronald Rauhe: „Tatsächlich hatte ich so eine Begegnung. Michael Phelps fand ich sehr beeindruckend. Er ist für mich ein absolutes Phänomen. Von der menschlichen Seite her gibt er sehr viel von sich preis. Und er zeigt auch, was ein Sportler aushalten muss, wenn es einmal um die Kehrseite der Medaille geht. Ich habe ein sehr intensives Gespräch mit ihm geführt. Das hat mich schon sehr bewegt und nachhaltig beeindruckt.“

Sie sind jetzt im Olympia-Ruhestand und haben dem Leistungssport Adieu gesagt. Tut es weh, diesen Teil des Lebens hinter sich zu lassen?

Ronald Rauhe: „Ich habe die Entscheidung ganz bewusst getroffen. Für uns als Familie war klar, dass meine Karriere eigentlich 2020 zu Ende gehen wird. Durch die Verschiebung von Olympia hat es nun ein Jahr länger gedauert. Ich habe jetzt auch ein Alter erreicht, wo man im Sport durchaus einmal in den Ruhestand gehen darf. Ich freue mich sehr auf die Zeit mit der Familie, auch, wenn ich zuerst durchaus Angst hatte vor dem Moment, an dem ich sagen muss: ‚Jetzt ist Schluss‘. Nach dem Erreichen der Goldmedaille fiel mir das aber sehr leicht.“

Die Frage ist: Wie geht es nun weiter?

Ronald Rauhe: „Ich freue mich auf Dinge, die ich vorher aus zeitlichen Gründen nicht machen konnte. Ich möchte häufiger zum Kite-Surfen fahren. Ich freue mich darauf, vielleicht mit der Altherren-Mannschaft in Falkensee regelmäßig Fußball zu spielen.
Beruflich gibt es gerade sehr viele Wege, die mir offen stehen. Ich werde aber auf jeden Fall bei der Bundeswehr bleiben – als Berufssoldat. Da gibt es interessante Möglichkeiten etwa im Gesundheitsmanagement der Bundeswehr. Das ist für mich eine gute und tolle Absicherung für die Zukunft. Ich habe aber auch ein paar Herzensprojekte, die ich jetzt angeschoben habe. Die haben viel mit Ernährung und mit Kindern zu tun. Auch beruflich werde ich noch einen zweiten Weg gehen. Aber das ist alles erst in der Mache. Da können wir uns in ein paar Monaten wieder drüber unterhalten.“

Viele Sportreporter haben gemeckert, dass Deutschland in diesem Jahr zu wenige Medaillen gewonnen hat. Ist das ein Vorwurf, über den man nachdenken muss?

Ronald Rauhe: „Mich hat dieser Vorwurf sehr geärgert, das muss ich ganz deutlich sagen. Natürlich ist es bei mir gut gelaufen. Aber es gibt viele Athleten, die vierte, fünfte und sechste Plätze belegt haben. Da fehlte oft nur ein winziges Mü. Aber das ist Olympia, da geht es oft um Millimeter.
Wenn man viel fordert, muss man auch etwas geben. Unsere Regierung macht es sich da sehr einfach. Leider ist es in Deutschland noch immer so: Wenn man sich für den Leistungssport entscheidet, dann geht man voll ins persönliche Risiko, was die finanzielle Absicherung nach der Karriere betrifft. Da gibt es noch viel zu tun.
Ich finde auch, dass die Diskussion um die Prämien falsch geführt wird. Mir wäre es viel lieber, wenn man stattdessen eine Rente einführen würde – für sportliche Erfolge, die man erzielt.
So könnte man Familien absichern und eine Perspektive für die Zeit nach dem Sport aufbauen.
Der zweite Punkt ist: Wir machen viel zu wenig für unsere Kinder. Die Übungsleiter und Ehrenamtler, die unsere Kinder für den Sport begeistern können, werden leider mit Füßen getreten. Da muss man sehr viel nachbessern, um diese Leute besser zu stellen.
Sport zeigt eine sehr gute Wirkung gerade auf Kinder und Jugendliche – und auf ihren Umgang miteinander. Mehr Engagement würde hier der ganzen Gesellschaft zugute kommen.“ (Fotos: CS)

Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 187 (10/2021).

Zu diesem Artikel gibt es auch ein YouTube-Video:
https://www.youtube.com/watch?v=7HCn_fenK2E
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