Auf die Dauer ist das kein Zustand für einen Barmann: Enrico Hübner (40) schleicht zurzeit ganz allein durch seine Rumbar Falkensee im Kellergewölbe unter dem Ehlers-Haus in Finkenkrug. Seine Gäste, die sonst so gern am Freitagabend auf einen Cocktail (oder zwei) die steile Treppe herunterstolpern, die bleiben zurzeit aus. Corona hat die Bar sozusagen unter Quarantäne gestellt. (ANZEIGE)
Enrico Hübner: „Ich gehe leider nicht davon aus, dass ich die Bar in diesem Jahr noch einmal aufsperren kann. Bei mir sitzt man einfach viel zu eng, die Mindestabstände lassen sich nicht einhalten.“
Was also tun? Ganz aufzugeben, das war für den Freund hochprozentiger Spirituosen einfach keine Option. Und so hat er zügig ein Sprit-Programm auf die Beine gestellt, das von viel Einfallsreichtum zeugt.
Der erste Baustein – ein Cocktail-Lieferservice. Am 17. April stieg der Barmann das erste Mal in sein Auto, um vorab im Internet bestellte Cocktails an ausgetrocknete Kehlen im Havelland auszuliefern: „Die erste Auslieferung war auf 48 Cocktails in der Flasche beschränkt, es gab frisch angesetzten Gin Basil Smash, einen weißen Mai Tai, den Grafen, einen Planters Punch 2 und einen ‚leckeren‘ Rum. Die Nachfrage war riesig, wir waren sofort ausgebucht. Diesen Service werden wir jetzt einmal im Monat anbieten.“
Die zweite Idee, die ebenfalls einmal im Monat eine Umsetzung finden wird, ist die Durchführung eines Online-Tastings. Enrico Hübner: „Hier habe ich am 18. April zu einem ersten Online-Tasting eingeladen. Es war mit 13 Teilnehmern sofort ausverkauft. Mehr Teilnehmer habe ich mir nicht zugetraut. Nicht, dass die Bandbreite des Internet-Videosystems, das wir verwenden, am Ende nicht ausreicht. Allen Teilnehmern des Tastings – von Schönwalde-Glien bis nach Berlin – habe ich bereits am Tag zuvor einen verschlossenen Umschlag mit acht Glasfläschchen vorbeigebracht, in denen meine Rum-Proben abgefüllt waren. Per E-Mail habe ich allen Teilnehmern auch die Zugangsdaten für ein Online-Konferenzsystem zugeschickt. Hier habe ich die Software Zoom verwendet. Damit hat meine Frau bereits gute Erfahrungen bei ihren Online-Sportkursen sammeln können.“
Das erste Online-Tasting folgte dem Motto „Battle of the Spirits“. Es ging darum, verschiedene Rum-Sorten aus der ganzen Welt kennenzulernen. Um 20 Uhr wählten sich alle Tasting-Teilnehmer in Zoom ein – und schauten schon bald ins Wohnzimmer von Enrico Hübner. Hier stapelten sich die Rumflaschen in den Regalen: „Ich gebe es ja zu, ich bin ein echter Rum-Nerd.“
Aus den zu verkostenden Rum-Sorten machte der Experte zunächst ein echtes Geheimnis. Nur Ziffern prangten auf den Flaschen. So sollten alle Teilnehmer unvoreingenommen an das Tasting herangehen.
Aber wie „tastet“ man eigentlich einen Rum am besten? Enrico Hübner: „Am besten verwendet man ein Nosing Glas, das eine bauchige Form und nur eine schmale Öffnung nach oben hin hat. Die flüchtigen Geschmacksnoten bleiben im Glas. So kann man sie mit der Nase gut aufnehmen. Dann den Rum im Glas schwenken und noch einmal riechen. Mehr Schwenken ist nicht nötig. Wer den ‚Propeller‘ anmacht, riecht am Ende nur noch den Alkohol. Oft riecht man beim Rum übrigens ganz andere Inhaltsstoffe als man sie dann beim ersten Schluck schmecken kann. Der zweite Schluck schmeckt wieder ganz anders als der erste. Ich lasse den Rum gern eine Zeitlang im Mund herumgehen, schlucke ihn langsam herunter, und atme bei geschlossenem Mund durch die Nase aus. So nimmt man die Essenzen am besten wahr.“
So ein Online-Tasting kann durchaus eine kommunikative Sache sein. Denn nicht nur Enrico Hübner war in der Video-Konferenz-Software zu sehen, sondern auch alle Teilnehmer selbst. So konnte Enrico Hübner immer wieder per Daumen-hoch- oder Daumen-herunter-Geste ein schnelles Feedback der Zuschauer zu den einzelnen Rum-Sorten einholen oder einen gesprochenen Kommentar abfragen.
Eins zeigte sich an diesem ersten Tasting-Abend wieder ganz deutlich. Nachdem die ersten Rum-Proben der Marken Ron Millonario 10, Gold of Mauritius Dark Rum, Dos Maderas 5×5 und Wagemut PX Cask die Runde gemacht hatten, lag das Urteil der Teilnehmer oft weit auseinander. Was der eine lecker fand, wollte der nächste schon gar nicht mehr austrinken: „Zu viel Alkohol, zu viel Schärfe, zu viel ‚Mitten in die Fresse‘.“
Enrico Hübner: „Hier muss jeder das finden, was ihm schmeckt. Rum steht unter kaum einer gesetzlichen Regelung. Ich finde ihn gerade deswegen so interessant, weil er so eine große Bandbreite hat. Aber man muss selbst herausfinden, welcher Rum zu einem passt. Da sollte man sich weder vom Preis noch vom Alter ablenken lassen.“
Viel gab es an dem Abend zu lernen – über die Herstellung von Rum aus Zuckerrohr, über die früher täglich ausgegebenen Rumrationen auf den Seemanns-Schiffen, über die rechtlichen Besonderheiten des Jamaika-Rums, über die Geschmacksoptimierung durch die mehrfache Fasslagerung, über mögliche Zusatzstoffe wie Gewürze oder Zucker oder über Rum-Sorten mit Alkoholwerten weit jenseits der 50 Prozent: „Da müsst ihr mit dem Riechen am Glas vorsichtig sein, sonst brennt es euch die Nasenhaare weg.“
Enrico Hübner blendete immer wieder vorbereitete Grafiken ein – etwa um die Solera-Abfüllung zu erklären. Er ließ in einem Video sogar den deutschen Hersteller des Wagemut PX Cask zu Wort kommen.
Und er holte Nina Vorster als Vertriebsmanagerin der deutschen Firma 1423 World class Spirits GmbH, die für den kultigen Companero Añejo Rum mit verantwortlich zeichnet, live in den Videochat. Sie offenbarte den Teilnehmern online auch das Geheimnis, warum der Companero Extra Añejo so schokoladig schmeckt: „Dieser Rum lagert 12 Jahre in einem Ex-Bourbon-Fass. Dann wird der Rum kurz herausgenommen. Die leeren Fässer werden mit einem natürlichen Kakao-Extrakt aromatisiert (Fachbegriff: „seasoned“), anschließend kommt der Rum noch einmal für ein paar Monate ins Fass.“
Mit einem Worlds End Navy Straight, einem HSE Rhum Agricole Black Sheriff und einem sehr süffigen und mit Vanille aufgepepptem Rum-Likör N.Spiced fand das Tasting nach zwei Stunden ein bereits leicht umnebeltes Ende. Dabei lernten die Teilnehmer völlig unterschiedliche Rum-Sorten aus Ursprungsländern wie Peru, Mauritius, Barbados, Jamaica und Martinique kennen. Was fehlte, war übrigens ein indischer Rum. Enrico Hübner: „Indien produziert inzwischen den meisten Rum der ganzen Welt. Wir bekommen das nur leider nicht mit, weil die ihn kaum exportieren, sondern lieber vor Ort austrinken. Die knallen den selbst weg.“
Der große Vorteil des Online-Tastings: Nach acht 2-cl-Proben hochprozentiger Spirituosen musste niemand mehr einen langen und vielleicht schlingernden Heimweg antreten, sondern konnte sich zum Nachbrennen einfach auf das nahe gelegene Sofa fallen lassen.
Am 9. Mai geht es beim Online-Tasting weiter mit dem Rum-Tasting „Pirates of the Caribbean“, am 23. Mai folgt ein Gin-Tasting. Weitere Termine werden auf der Homepage der Rumbar bekannt gegeben. (Text / Fotos: CS)
Info: RumBar Falkensee, Ringstraße 2-4, 14612 Falkensee, www.rumbar-falkensee.de
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 170 (5/2020).
Der Beitrag Enrico süffelt in Finkenkrug: Erstes Online-Rum-Tasting in der Corona-Zeit! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.