Die Corona-Pandemie hält die Welt in Atem. Ein kleiner Virus, mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, verbreitet sich von China ausgehend einmal um die ganze Welt. Er zwingt die Regierungen in vielen Nationen angesichts schwerer Komplikationen, die bei einigen Infizierten auftreten, dazu, sehr harte Maßnahmen zu ergreifen. In vielen Ländern kommt es zu einem Shutdown.
Auch in Deutschland wird das öffentliche Leben über Wochen so gut wie lahm gelegt. Schulen, Restaurants, Kinos, Theater und viele Ladengeschäfte mussten auf behördliche Anweisung hin schließen. Soziale Kontakte finden seitdem nur noch mit Mundschutz und unter Einhaltung der Abstandsregeln statt.
Warum das alles? Das erklärte Ziel ist es, eine exponentielle Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung zu verhindern. Die Angst, von drastischen Bildern aus Italien geschürt, steht im Raum, dass unser Gesundheitssystem ansonsten nicht dazu in der Lage wäre, die Kranken angemessen zu versorgen. Es soll vor allem Zeit gewonnen werden, um einen höheren Bestand an Intensivbetten mit einer Beatmungsmöglichkeit in den Krankenhäusern aufzubauen.
Wochen später schliddert Deutschland in die wohl größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg: Das Herunterfahren aller Systeme hat tiefe Spuren in der Wirtschaft hinterlassen. Viele Unternehmen, denen es vorher bestens ging, sind mit Vollgas gegen die Wand gefahren. Steuerausfälle in nie gesehener Höhe sind die Folge.
War das gerechtfertigt? Im Havelland gab es insgesamt – Stand 14. Mai – nur 166 laborbestätigte COVID-19-Fälle. 138 von ihnen gelten nach Robert-Koch-Institut-Kriterien als inzwischen genesen. Sechs Infizierte sind verstorben. Verbleiben 22 aktuell Infizierte. Mit dem Zusatz: Von denen man weiß. Ungetestet könnten es durchaus auch mehr sein.
Hat Deutschland angesichts der niedrigen Infektionszahlen alles richtig gemacht? Und durch eine schlaue Politik das Schlimmste verhindert? Oder war das alles eine Überreaktion, ein Fehlalarm?
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Die Corona-Krise aus der Sicht der Havelland Kliniken
Corona hier, Corona da. Das Thema ist nicht nur in der Politik und in den Medien omnipräsent, sondern wird auch bei fast jeder privaten Zusammenkunft ausgiebig erörtert. Da fragt man sich doch, wie wohl die Krankenhäuser, in denen die COVID-19-Patienten behandelt wurden und in denen die Ärzte den direkten Blick auf die möglichen Folgen der Infektion sehen, die Lage der Dinge beurteilen.
Carsten Scheibe sprach für FALKENSEE.aktuell mit dem Geschäftsführer der Havelland Kliniken Jörg Grigoleit und mit dem ärztlichen Direktor Dr. Mike Lehsnau über die Corona-Erfahrungen der Havelland Kliniken am Standort Nauen.
Jörg Grigoleit: „Es ist wichtig, gleich zu erwähnen, dass ein Infektionsgeschehen für uns in den Havelland Kliniken nichts Neues ist. Wir hatten es in der Vergangenheit bereits mit der Schweinegrippe und der Vogelgrippe zu tun. Pandemien sind Erscheinungen, die in einer global vernetzten Welt schon vorher aufgetreten sind. Wir haben schon immer überlegt, wie wir mit einem akuten Infektionsgeschehen umgehen müssen. Tatsächlich gibt es dafür sogar einen eigenen Infektionsplan bei uns.
Man stelle sich nur einmal vor, ein relativ harmloser, aber hochgradig ansteckender Virus wie der Noro-Virus, der ja immer wieder viele Kreuzfahrtschiffe lahmlegt, taucht in einem Krankenhaus auf. Dann würde sofort unser Ausbruchsmanagement zur Anwendung kommen, um die weitere Ausbreitung zu verhindern.
Wir haben schon vor Jahren einen eigenen Krisenstab mit Mitarbeitern aus der gesamten Unternehmensgruppe gegründet. Da haben wir Fachleute aus allen Bereichen zusammengeholt und eine gewisse Grundorganisation auf den Weg gebracht. Ende Februar, als Corona aufkam, war die erforderliche Arbeitsstruktur also schon da. Wir haben den Krisenstab nur noch um die Krankenhaus-Einsatzleitung erweitert und uns gefragt: Wie viele Corona-Patienten können wir eigentlich aufnehmen?
Von Anfang an haben wir aber immer unternehmensweit gedacht, also auch die Pflegeheime, den ambulanten Pflegedienst und unsere Arztpraxen mit in die Überlegungen aufgenommen. So haben wir zentral für alle erst einmal Schutzkleidung organisiert und verteilt.
Trotz aller Ängste und Befürchtungen hat bei uns alles gut funktioniert. Wir hatten keine akute Krise.“
Dr. Mike Lehsnau: „Gerade bei der Schutzkleidung hatten wir auch immer unseren Fundus im Auge. Wir haben einen Plan aufgestellt und aufgeschrieben, wer eigentlich welche Art von Schutzkleidung benötigt. Ein Arzt, der ganz nah mit einem infizierten Patienten arbeitet, braucht eine andere Schutzausstattung als jemand, der nur einen Abstrich vornimmt. So konnten wir gezielt Ressourcen sparen.
Am Anfang war die Einschätzung, wie sich Corona entwickelt, auch bei den Ärzten sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das Problembewusstsein war nicht sofort da. Als es aber schnell ernst wurde, wurden sämtliche Systeme von heute auf morgen auf ein Notprogramm umgestellt – und zwar in der Pflege ebenso wie im Krankenhaus. Vor allem die Regelung, dass kein Besuch mehr zugelassen wurde, sorgte allerdings anfangs für unendliche Diskussionen mit den Angehörigen.“
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Jörg Grigoleit: „In der Krise hat sich durchaus gezeigt, was eine gute Vorratshaltung ist. In der Pflege sind uns weder die Lebensmittel noch das Klopapier ausgegangen, als die halbe Nation bereits gehamstert hat. Unsere Krankenhaus-eigene Apotheke hat zum Glück ebenfalls ein gutes Vorratskonzept, sodass wir während der Pandemie keinen Mangel an Arzneimitteln hatten. Das ist bemerkenswert, weil es zurzeit nicht einmal leicht ist, an einfache Kopfschmerzmittel wie Ibuprofen zu gelangen.
In den ersten Wochen haben uns Unbekannte sogar die Desinfektionsspender aus der Wand gerissen. Not macht erfinderisch: Unsere Hausapotheke stellt das Desinfektionsmittel, das wir brauchen, inzwischen selbst her.“
Carsten Scheibe: Wie sieht denn eigentlich der aktuelle Status im Krankenhaus Nauen aus?
Jörg Grigoleit: „Für eine optimale Behandlung der Patienten haben wir die Klinikstandorte in eine Covid- und eine Non-Covid-Klinik aufgeteilt. Alle Corona-positiven Fälle werden im Isolationsbereich der Klinik Nauen behandelt. Mitarbeiter, die im Covid-Bereich arbeiten, dürfen nicht im Non-Covid-Bereich eingesetzt werden. Das gilt sogar für die Reinigungskräfte. So stellen wir sicher, dass ein Hinaustragen des Virus aus dem Infektionsbereich nicht erfolgen kann.
Ansonsten kehren wir inzwischen zu einem Regelbetrieb unter Covid-19-Bedingungen zurück. Operationen und Behandlungen, die in den letzten Wochen verschoben und zurückgestellt wurden, werden nun seit dem 4. Mai wieder durchgeführt. Wir haben aber auch schon vorher akute Fälle in den Kliniken Nauen und Rathenow behandelt. Auch Entbindungen wurden in beiden Häusern durchgeführt.
Wir streben zurzeit eine 2/3-Auslastung unserer Bettenkapazitäten an. Es wird sicherlich noch ein Jahr dauern, bis es wieder so etwas wie Normalität im Krankenhaus gibt. Aber niemand braucht Angst zu haben, sich im Krankenhaus mit Corona anzustecken. Auch die Besuchsregelungen werden bereits wieder schrittweise gelockert.“
Dr. Mike Lehsnau: „Im Covid-Bereich gibt es eine eigene Isolations-Station, die über ein Schleusensystem betreten wird. Wer die Station betritt, wechselt in der Schleuse die Kleidung. Auf der Station bringen wir die Covid-Verdachtsfälle unter. 42 Betten stehen uns in diesem Bereich zur Verfügung – inklusive elf bis zwölf Intensiv-Betten. Diese sogenannten ITS-Betten gab es bereits vorher schon im Krankenhaus. Wir brauchen sie z.B. für große Tumor-Operationen.
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Die Anzahl der Beatmungsmöglichkeiten soll auf 27 in beiden Klinikstandorten gesteigert werden. Die Intubation ist allerdings nur der aller-allerletzte Weg. Wenn es geht, setzen wir bei Covid-Patienten mit akuter Atemnot auf ein High-Flow-Verfahren, das ganz viel Sauerstoff zum Patienten bringt.
Während der ganzen Pandemie hatten wir bislang 18 Covid-Patienten bei uns im Haus. Diese Patienten haben wir zum Teil nur beobachtet, zum Teil aber auch mit High Flow Sauerstoff behandelt. Außerdem haben wir 96 Verdachtsfälle versorgt, also Patienten, die einer stationären Behandlung bedurften und die eine zu Corona ‚passende‘ Symptomatik aufwiesen.
Inzwischen ist es so, dass sämtliche Patienten, die aktuell bei uns aufgenommen werden, entweder einen Corona-Test mitbringen, der nicht älter als 96 Stunden ist, oder von uns abgestrichen und auf Covid-19 hin getestet werden. Am Anfang mussten wir noch fünf bis neun Tage auf das Testergebnis warten. Inzwischen ist das Ergebnis zeitweise sogar am gleichen Tag da. Ohne einen negativen Corona-Test wird bei uns im Krankenhaus niemand mehr operiert.“
Carsten Scheibe: Wie haben Sie eigentlich die Corona-Fälle im Krankenhaus erlebt?
Dr. Mike Lehsnau: „Die Patienten, die sich mit Corona angesteckt haben, bekommen oft Fieber und Grippe-ähnliche Symptome. Typisch ist ein trockener Husten, der mitunter in eine schwere Ateminsuffizienz übergeht.
Covid-19 ist in unseren Augen so besonders gefährlich, da sich der Zustand der Patienten innerhalb von nur einer bis drei Stunden extrem verschlechtern kann. Deswegen ist es ganz besonders wichtig, ausreichend geeignete Beatmungsmöglichkeiten in der Nähe zu wissen.
Bei Covid-19 ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Komplikationen kommt, immer da. Natürlich stand da auch der Gedanke im Raum: Wie beatmet man die Patienten, wenn die Infektionszahlen steigen und die entsprechenden Beatmungskapazitäten im Krankenhaus nicht gegeben sind? Wir sind froh, dass die Zahl der Fälle bei uns nicht so hoch war, dass eine adäquate Behandlung nicht mehr gewährleistet werden konnte.
Die Virologen stehen in Bezug auf die Beurteilung von Covid-19 noch ganz am Anfang. Es gibt noch viele Fragezeichen. Es zeigt sich jetzt schon, dass es neben den Atemproblemen auch noch andere Schädigungen gibt. So häufen sich Thrombosen mit Lungenembolien und Hirnschäden nach einer überstandenen Infektion. Neue Erkenntnisse führen hier zwangsläufig auch zu neuen Behandlungsformen.
Es fällt im Krankenhausalltag deutlich auf, dass uns geeignete Medikamente fehlen, um die Vireninfektion behandeln zu können.
Die Frage, ob der ganze Shutdown wirklich in der Form nötig war, die können wir bestimmt erst in einem Jahr beantworten.“
Jörg Grigoleit: „Wir dürfen vorerst nicht zu unserem alten Leben zurückkehren und müssen vorsichtig bleiben. Wir haben weiterhin Corona-Hotspots in Deutschland. Wir können auch hier im Havelland jederzeit ein Ausbruchsgeschehen bekommen, wenn wir leichtsinnig sind.“
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Carsten Scheibe: Haben die Havelland Kliniken aufgrund dessen, dass viele OP-Termine verschoben wurden, auch mit finanziellen Einbußen zu kämpfen?
Jörg Grigoleit: „Man muss klar sagen, dass es einen Schutzschirm gibt und die Krankenhäuser eine Ausgleichszahlung für nicht belegte Betten erhalten. Das hilft uns sehr.
Seitdem wir den Krankenhausbetrieb am 12. März heruntergefahren haben, wurden alle Patienten, deren Operationstermine verschoben wurden, elektronisch erfasst. Diese Aufzeichnungen nutzen wir nun, um entsprechend der Prioritäten neue Termine zu vergeben. Natürlich sorgen acht Wochen Ausfall dafür, dass sich ein großer Berg an aufgeschobenen Operationen und Eingriffen gebildet hat. Das werden wir in drei, vier Wochen nicht abarbeiten können. Klar ist, dass wir so einen Lockdown wie jetzt nicht alle paar Jahre machen können, Wir brauchen deswegen einen Impfstoff. Aber was ist, wenn Covid-20 oder Covid-21 auftauchen? Infektionen wird es immer geben. Unser Bewusstsein, wie wir diesen Infektionen begegnen, das muss sich ändern. Wir sollten einige Gepflogenheiten aus der Corona-Zeit wie das regelmäßige Händewaschen unbedingt beibehalten.“
Carsten Scheibe: Was lehrt uns die Corona-Pandemie?
Jörg Grigoleit: „Die Krisenstäbe müssen ihre Arbeit erst noch auswerten. Aber schon jetzt wissen wir, dass es Veränderungen in der Organisation des Krankenhauses geben muss. So brauchen wir z.B. eine dauerhafte Infektionsstation, die in normalen Zeiten anders genutzt wird, in Krisenzeiten aber ganz schnell reaktiviert werden kann.“ (Text. CS / Fotos: CS + Havelland Kliniken)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 171 (6/2020).
Der Beitrag Havelland Kliniken: Interview über die Corona-Erfahrungen im Krankenhaus erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.